American Football: warum „boomt“ diese Teamsportart in Deutschland?

American Football ist ein faszinierendes Spiel. Die wachsende mediale Popularität in Deutschland zeigt sich auch an den Einschaltquoten beim Sender RTL. Neben ausgewählten Live-Spielen in der Saison überträgt der Privatsender auch live das Finale der NFL, den Super Bowl, in Deutschland.

Fakten:

Sports Illustrated berichtet, dass zum 1. Quarter des Super Bowls LIX zwischen den Kansas City Chiefs und den Philadelphia Eagles 1,55 Mio. Zuschauer bei der Live-Übertragung von RTL zugeschaltet waren.

Gleichzeitig scheint sich bei der trendigen Nischensportart American Football in Deutschland einiges zu tun. Immerhin belegt der Fachsportverband AFVD mit rund 73.000 Mitgliedern den 31. Rang bei den deutschen Spitzenverbänden des DOSB 2024 (DFB: 7,7 Mio., Deutscher Turner Bund: 5,0 Mio. und der Deutsche Tennis Bund mit 1,4 Mio. Mitgliedern sind die ersten drei in Deutschland). Zudem gibt es in Deutschland noch die sieben deutschen Teams in der European League of American Football, die nicht dem DOSB angehören und in einer “Semi-Professionellen Liga” mit europäischen Teams losgelöst vom deutschen Verbandssport agieren.Warum gibt es einen “Football-Boom” in Deutschland ? Vier Versuche eines Erklärungsansatzes:

1.American Football ist in den USA selbst “RÜCKLÄUFIG”!            

In der Altersklasse 6-12 Jahre haben in den USA 2009 ca. 1.1 Mio. Kinder aktiv Football gespielt. Gut ein Jahrzehnt später waren es in 2020 hingegen nur noch ca. 800.000 Kinder - ein Rückgang von über 30% in einer Dekade! Gleichzeitig zeigt eine Umfrage des National Federation of State High School Associations (NFHS) auch einen RÜCKGANG der Teilnehmerzahlen im American Football auf High-School-Ebene um 10 % zwischen 2009 und 2019. 

Die Gründe für diesen Rückgang sind vielfältig:

  • Gesundheits- und Sicherheitsbedenken: Seit der Veröffentlichung einer  Studie der Boston University (vgl. Journal of the American Medical Association), in der wissenschaftlich ein Zusammenhang von neurodegenerativen Erkrankungen und ehemaligen NFL-Profi-Spielern bewiesen werden konnte, entscheiden sich immer mehr Eltern aus Sorge vor Gehirnerschütterungen gegen Vollkontakt Tackle Football. Die Sorgen vieler Eltern scheinen berechtigt zu sein, denn die Dunkelziffer dieser neurodegenerativen Erkrankungen wird vermutlich noch viel höher sein: Generationen von College Footballspieler sind in diesen Untersuchungen bisher völlig unberücksichtigt! Aktuellste Ergebnisse zeigen bei Untersuchungen an 376 ehemaligen NFL-Spielern, dass  345 (91,7%) von ihnen mit der sog. CTE (Chronische traumatische Enzephalopathie) diagnostiziert worden sind! (vgl. bumc.bu.edu 2023-/02/06)
  • Änderungen im Freizeitverhalten & E-Games: Voraussichtlich spielt auch die Pandemie durch Corona eine gewisse Rolle. Insgesamt verändert sich jedoch das Verhalten von Kindern und Jugendlichen stetig hin zu E-Games bzw. E-Sports im virtuellen Bereich und wurde durch die Pandemie möglicherweise einfach nur „beschleunigt“. Laut einer Studie von Statista verbringen heutzutage viele Kinder bis zu 7 Stunden! mit der Nutzung digitaler Medien.
  • Alternativen: Hinzu kommt eine sich vergrößernde Sportlandschaft in den USA. Zahlreiche Alternativen und Angebote wie etwa Basketball, Baseball oder Soccer und auch  Individualsportarten bieten sich den Kids an,  ohne das entsprechend große Verletzungsrisiko einer Kollisions-Sportart.

Der negative Trend macht Druck: Der negative Trend von weniger Spielern in den USA beim American Football erzeugt einen erheblichen Druck auf das gesamte „Sport-System“ American Football. Dieser Druck entsteht primär auf den drei Ebenen:

  • High-School Football: ein wesentlicher Bestandteil des Systems Schule
  • College Football: ein wesentlicher (kommerzieller) Bestandteil des Systems Universität und natürlich auch auf den
  • NFL-Football: einem Multi-Milliarden Wirtschaftsbetrieb mit geschätzten Einnahmen in 2024 von ca. 20,5 Milliarden US-Dollar (vgl. Statista 2024).

2. Gegenmaßnahme – Internationalisierung:

Diesem Trend wird auf allen drei Ebenen durch eine Internationalisierung massiv “gegengesteuert”. An den High-Schools ist die Anzahl von ausländischen Football-Spielern in den USA auf nie dagewesene 25% gestiegen, Tendenz steigend! Vor allen werden die großen und schweren Spieler der Offensive und Defensive Line weltweit „gesucht“ und rekrutiert.

Faktoren für den rasanten Anstieg von ausländischen Spielern in den High-Schools:

  1. Globalisierung des Sports: Die Verbreitung von Medien und sozialen Netzwerken hat dazu geführt, dass Football weltweit populärer wird. Plattformen wie YouTube und Instagram ermöglichen Talenten aus aller Welt, ihre Fähigkeiten zu präsentieren und so von US-Scouts entdeckt zu werden.
  2. Stipendienmöglichkeiten: Viele internationale Spieler sehen in den USA eine Chance, über die High-School ein Sportstipendium an der Uni zu erhalten, das ihnen den Zugang zu einer hochwertigen, akademischen Ausbildung ermöglicht. Laut einer Umfrage der NCAA (National Collegiate Athletic Association 2021 “International Student-Athlete Survey”) geben 60 % der internationalen Athleten an, dass die Aussicht auf ein Stipendium ein entscheidender Faktor für ihre Entscheidung war, in die USA zu kommen. Das Stipendium ist bei den hohen College Gebühren eine willkommene Entscheidungshilfe, um College Football spielen zu können. Neben einer potenziell guten akademischen Ausbildung darf man weiter an seinen Profitraum arbeiten.
  3. Talententwicklung: Die USA bieten eine der besten Infrastrukturen für die Talententwicklung im Footballsport an. Viele der Top High-School-Football Programme verfügen über erstklassige Trainer, Trainingsmöglichkeiten und Wettbewerbsstrukturen, die für Spieler natürlich höchst attraktiv sind und es ermöglichen, sich schneller als „zu Hause“ zu verbessern.

Trotz dieser Entwicklungen für die Nicht-US-amerikanischen Talente gibt es auch einige Hürden, die von den ausländischen Spielern bewältigt werden müssen. Zu diesen Fakten gehört es, für die meist sehr jungen Männer, das Leben in der Fremde zu meistern. Durch den erheblich größeren Wettbewerb um die begehrten Plätze steigt auch der Leistungs- und Performancedruck erheblich an. Die ständige und stetige „Bewerbung“ um den Spielerjob im Training und im Spiel bringt auch ein entsprechendes Verletzungsrisiko mit sich. Auch Sprachbarrierenkulturelle Unterschiede und die Anpassung an ein neues Bildungssystem können Schwierigkeiten mit sich bringen. Eine Studie der University of Southern California zeigt, dass 40 % der internationalen Athleten Schwierigkeiten haben, sich in das soziale Umfeld ihrer High-Schools zu integrieren.

Alle oben genannten Faktoren lassen sich vermutlich eins zu eins auf das College System übertragen.

3. Anstieg internationaler Spieler in der NCAA, dem US-College System:

Laut einer Studie von NCAA Research (2022) ist der Anteil internationaler Spieler im College Football von 2,5 % im Jahr 2010 auf über 5 % im Jahr 2022 gestiegen. Dies entspricht einer Verdopplung innerhalb von nur zwölf Jahren. Die Gründe für diesen Anstieg sind vielfältig:

  1. Globalisierung des Sports: Die zunehmende Verbreitung von American Football in Ländern wie Kanada, Mexiko, Australien und Europa hat dazu geführt, dass mehr Talente auch international entdeckt werden.
  2. Mehr internationale Spieler an den High-Schools führen auch mittelfristig zu mehr internationalen Spielern für die Colleges.
  3. Zugang zu Stipendien: Die NCAA bietet eine Vielzahl von Stipendien für internationale Spieler, was für viele eine attraktive Möglichkeit darstellt, eine hochwertige Ausbildung zu erhalten und gleichzeitig auf einem hohen sportlichen Niveau zu spielen.

4. NFL-Initiativen gegen den negativen Trend in den USA:

Die NFL ist die “Spitze des Eisberges” und auf eine stabile, breite und wettbewerbsorientierte (Spieler-)Basis des High-School- und College-Systems angewiesen. Das Geschäftsmodell NFL hat daher selbst diverse „Baustellen“, an denen sie aktiv arbeiten muss. Dazu muss man wissen, das professionelles „American Football“ noch überwiegend von US-Amerikanern gespielt wird. Das ist wichtig im Verständnis, denn Basketball, Baseball und Eishockey in den USA sind mittlerweile deutlich stärker internationalisiert.

Liga Spieler pro Jahr  International Spieler
MLB 1.057 Ca. 260 +
NBA 450 Ca. 120 +
NHL 736 Ca. 516!
NFL 1.696 (+Practice Squad) Ca. 18

Selbstredend hat der Wirtschaftsbetrieb NFL diesen Trend erkannt und hat selbstverständlich ein gesteigertes betriebswirtschaftliches Interesse, dem entgegenzusteuern. Die NFL braucht für ihren Betrieb stetig neue, höchstqualifizierte Spieler, um das Produkt NFL-Football erfolgreich betreiben zu können. Ein negativer Trend mit immer weniger Spielern gefährdet somit die ureigensten Interessen dieses Geschäftsmodells.

Die NFL hat verschiedene Initiativen ins Leben gerufen, um die Popularität von American Football zu steigern und die Spielerzahlen im „System“ wieder zu erhöhen:

  • Sicherheitsprogramme: Die NFL hat „hausintern“ und medienwirksam Programme zur Verbesserung der Sicherheit im Football ins Leben gerufen, um das Risiko von Verletzungen zu minimieren. Dazu gehören Schulungen für Trainer, die Einführung neuer Regeln und (medizinischer) Protokolle im Umgang mit potenziellen Gehirnerschütterungen und verbesserte Trainings- bzw. Spielerausrüstungen zur Reduzierung von Kopfverletzungen. Die Kehrseite dieser Maßnahmen ist eine Veränderung des Kollisionsspiels Football zu Gunsten der Spielersicherheit, aber eben auch zu Lasten der oft brachialen und hoch dynamischen Interaktion der Spieler, die das „American Game“ für viele ausmacht.
  • Internationale Spiele: Die NFL hat in den letzten Jahren verstärkt in internationale Märkte investiert, was zu einer höheren Sichtbarkeit des Sports geführt hat. Veranstaltungen wie die NFL International Series haben das Interesse an American Football weltweit gesteigert. Diese Spiele haben dazu beigetragen, die Sichtbarkeit des Sports vor allem medial zu erhöhen und internationale Märkte für Fans, Merchandising und natürlich Football-Talente zu erschließen. Absolut außergewöhnlich ist dabei, mittlerweile reguläre Ligaspiele im Ausland durchzuführen, um vor allem die europäischen Märkte mit Spielen in London, Frankfurt, München, Berlin, Madrid und weiteren mehr zu „erobern“. Man stelle sich vor, die Bundesliga im Fußball spielt mit dem FC Bayern München in Peking gegen Bayer Leverkusen ein reguläres Ligaspiel?! Vielleicht kommt das ja noch? Die ersten “Experimente” laufen ja im internationalen Fußball bereits.

Darüber hinaus hat die NFL im Rahmen des sog. Global Markets Program an insgesamt 10 NFL-Teams exklusive Vermarktungsrechte für den deutschsprachigen Raum (D, A, CH) vergeben (vgl. KICKER.de/nfl-952845/artikel). Diese Teams wollen nun schnellstmöglich ihre Fanbasis vergrößern und das geht am ökonomischsten über die Schulen und den organisierten Amateur-Football-Sport.

  • NFL Flag Football: Diese Initiative fördert den Flag Football, eine kontaktarme Variante des Spiels, die besonders bei Kindern beliebt ist. Laut der NFL nehmen mittlerweile über 1 Million Kinder an Flag Football-Programmen teil. Der Fokus liegt dabei auf dem Schulsport, wie in den USA üblich! Der Verbandssport in Deutschland läuft diesen überaus ambitionierten Initiativen eher “hilflos” hinterher. Naturgegeben ist man mit Ehrenamtlern im privaten Freizeitsport unterwegs. Man sollte den Verbänden und Vereinen deshalb auch keinen Vorwurf machen, denn es kann nicht die primäre Aufgabe des Vereinssports sein, kommerzielle Interessen und Initiativen in die organisch gewachsenen Vereins- und Verbandsstrukturen zu überführen. Qualifiziertes Personal zu finden, welches zu den Zeiten kann, wenn Schule kann, ist eine von vielen Herausforderungen für die Weiter-Entwicklung von Flag in Deutschland. Flag Football wird übrigens bei den nächsten Olympischen Spielen 2028 Demonstrationssportart in Los Angeles sein.
  • Programme wie das NFL International Pathway Program oder die NFL Academy bieten Jugend- und bestimmten Amateurspielern aus dem internationalen Ausland eine zusätzliche Möglichkeit, über einen “künstlichen Umweg” in die NFL zu gelangen. Diese Programme haben, wie bereits oben unter dem Punkt College beschrieben, ein verstärktes Interesse an den sog. NCAA-Programmen der Colleges hervorgerufen. In Zahlen der NCAA waren das 2021 bereits rund 200 internationale Spieler im College Bereich, auch hier Tendenz steigend (NCAA 2021 „NCAA Demographic Database“).

Zusammenfassung:

Basierend auf den Fakten und den bekannten Initiativen der NFL kann man von einem Footballboom in Deutschland sprechen. Dieser wird durch die oben genannten Maßnahmen der NFL im Schulterschluss mit dem US-Schul- und College-System weltweit vorangetrieben. Es ist allerdings bezeichnend, dass diese wirtschaftsgetriebenen Initiativen letztendlich das Ziel haben, das empfindliche Wirtschaftssystem American Football Sport in den USA zu schützen, zu unterstützen bzw. weiterzuentwickeln. Der Schulbetrieb der High-Schools hängt mit dem professionellen System von Infrastruktur und professionellen Trainern genauso am Tropf der Spieler-Pipeline, wie das professionalisierte College Football-System. Diese Systeme sind auf kommerziellen Erfolg und eine unerschöpfliche Quelle von potenziellen Footballspielern angewiesen. Der größte Profiteur mit der größten Abhängigkeit von der kostbaren „Ressource“ Spieler ist die NFL. Sie wissen sehr genau ihre Interessen global zu befriedigen, um vor allem „Spieler-Material“ für ihr Business zu generieren!

Jeder mag selbst beurteilen, wie er oder sie dazu stehen will. Ich möchte lediglich zu einer sachlichen Faktenlage beitragen und um einen offeneren und ehrlicheren Umgang mit talentierten Spielern bitten. Der Weg in die NFL ist theoretisch vorhanden und wird durch die vielen Initiativen und Umstände begünstigt – wie wahrscheinlich eine Karriere im Profi-Football der amerikanischen NFL ist, erfahrt ihr hier: (http://sammyschmale.de/2025/02/24/sport-profi-nfl-star-alles-nur-ein-traum/)

 Quellen:

  • Sports Illustrated
  • DOSB 2024
  • National Federation of State High School Associations (NFHS) 2020
  • Boston University (vgl. Journal of the American Medical Association 2017) CTE
  • Boston University Medical Campus -  bumc.bu.edu 2023-/02/06) Researchers find CTE
  • NFL.com
  • Statista:
  • NCAA (National Collegiate Athletic Association 2021 “International Student-Athlete Survey”
  • NCAA Research (2022)
  • NCAA 2021 „NCAA Demographic Database“

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